Gefahrübergang im internationalen Handel

Die Verkäufer GmbH schließt mit der Buyer Ltd. mit Sitz in London einen Kaufvertrag über eine nach den Vorgaben der Käuferin als Einzelstück hergestellte Maschine. Der Vertrag regelt nur Einzelheiten über den Kaufgegenstand und die Festlegung des Kaufpreises. Ergänzend heißt es: „The price is Ex Works (EXW) from our warehouse in Germany.” Die Verkäuferin teilte der Käuferin mit, dass die Ware zur Abholung zur Verfügung gestellt worden sei.
Noch in der folgenden Nacht bricht in ihrem Warenlager ohne ihr Verschulden ein Feuer aus, bei dem die noch nicht abgeholte Ware völlig zerstört wird. Die Verkäuferin beruft sich auf Gefahrübergang, da bei der Incotermklausel EXW der Gefahrübergang mit der Bereitstellung der Ware zur Abholung erfolgt. Zu Recht oder einer der Klassiker der weitverbreitestens Irrtümer im Auslandsgeschäft?

Regelung nach Incoterms

Nach der Klausel EXW der Incoterms 2020 trägt der Verkäufer grundsätzlich alle Gefahren des Verlusts oder der Beschädigung der Ware bis zu deren Lieferung und er hat diese zu liefern, indem er sie dem Käufer am genannten Lieferort, an der gegebenenfalls benannten Stelle, zur Verfügung stellt. Doch die Enttäuschung folgt auf dem Fuß. Denn mit der oben genannten Klausel ist die Incotermsklausel EXW – wie sich die Verkäuferin von ihrem Anwalt erklären lassen musste – nicht wirksam vereinbart, sondern nur die Preisabsprache getroffen worden, dass sich der Kaufpreis als Abholpreis versteht. Nicht mehr und nicht weniger!
Die Regelung über den Gefahrübergang, die alle Incotermsklauseln beinhalten, ist somit nicht Vertragsbestandteil geworden. Mangels einer – zulässigen – vertraglichen Regelung über den Gefahrübergang entscheidet daher die materielle Rechtslage.

Gefahrübergang mangels vertraglicher Vereinbarung

Da hier ein internationales Liefergeschäft vorliegt und die Verkäuferin sich erinnerte, gehört zu haben, dass Deutschland Vertragsstaat des UN-Kaufrechts (CISG) ist, schaut sie in den dortigen Bestimmungen nach. Zunächst stellt sie mit Ernüchterung fest, dass England kein Vertragsstaat ist.
Von einem Vortrag eines spezialisierten Anwalts, den dieser bei der Volksbank Überall e.G. gehalten hatte, hatte sie sich aber gemerkt, dass dies keine Rolle spielt, wenn die Regeln des Internationalen Privatrechts zur Anwendung des Rechts eines Vertragsstaats führen. Dass die Parteien keine Rechtswahl getroffen hatten, beunruhigt die Verkäuferin nicht, denn sie wusste von dem Vortrag noch, dass dann – jedenfalls nach deutschem Recht – das Recht des Verkäufers gelte. Gehen wir hier mal davon aus, es wäre deutsches Recht anwendbar. Dann wäre das UN-Kaufrecht als Bestandteil dessen anwendbar.
Aber hilft das tatsächlich weiter? Wenn der Kaufvertrag keine Beförderung der Ware durch den Verkäufer verlangt, geht die Gefahr nach dem CISG auf den Käufer über, sobald er die Ware übernimmt. Stellt er die Ware zur Abholung bereit, geht die Gefahr ohne tatsächliche Übernahme der Ware durch den Käufer mit Ablauf des Zeitraums auf diesen über, innerhalb dessen er die Ware hätte abholen müssen.
Der Gefahrübergang erfolgt aber noch nicht durch die bloße Bereitstellung der Ware und der dadurch eröffneten ersten Abholmöglichkeit. Wäre die Verkäuferin zur Beförderung der Ware verpflichtet gewesen, wäre die Gefahr erst mit der Übergabe an den ersten Beförderer zur Übermittlung übergegangen.
Käme man zu einem anderen Ergebnis, wenn die Parteien deutsches Recht unter Ausschluss des UN-Kaufrechts für ihren Vertrag gewählt hätten? Nein. Denn nach nationalem deutschen Recht geht die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung erst mit der Übergabe der verkauften Sache auf den Käufer über – beim Versendungskauf erst, sobald der Verkäufer die Sache dem Spediteur beziehungsweise dem Frachtführer ausgeliefert hat.

Der Autor:
RA Klaus Vorpeil
neusselKPA
www.vorpeil.de